Bewusstseins-Bilder

Die Bibel sei schon ein besonderes Buch, bekräftigte Arnold. Alle Schriften und Schöpfungsmythen seien sich zumindest darin verwandt, dass sie ihre Botschaften in starken Bildern transportieren. Natürlich beständen da gewisse kulturelle und epochal bedingte Unterschiede.

Alle Materie entspringe und existiere nur durch eine Kraft. Wir müssten annehmen, dass hinter dieser Kraft ein bewusster, intelligenter Geist stehe. Dieser Geist sei die Matrix aller Materie. Diese aussergewöhnliche Einschätzung unseres Daseins stammt von Max Planck, dem Vater der Quantenphysik.

«Bilder können zurechtgebogen und verfärbt aus der Erinnerung stammen, gleichsam als Reparaturakt unseres Bewusstseins; sie können aber auch einfach in die Vorstellungskraft aufsteigen, wie Traumbilder etwa; oder sie treffen uns wie ein Blitz – glücklich jener, der diesen Einschlag heil übersteht.» Wenn es dem Geist gefällt, dann fällst du tot um und keiner weiss wieso. In diesen Bereichen gibt es keine Gewissheit.

Arnold ist Maler, kein bekannter zwar, und er ist mein Freund. Als ich ihn an diesem Abend vor dem offenen Kaminfeuer nach den Beweggründen fragte, die ihn getrieben hätten, diese drei Stufen des ins Daseins Gelangens von Bildern mir zu referieren, entschuldigte er sich gleichermassen erbleichend und betroffen und ergänzte, es habe nun gar nicht in seiner Absicht gelegen, mich zu belehren. Ich wehrte ab und ich beeilte mich, ihm zu versichern, dass ich mich nicht von ihm belehrt fühlte. Ganz im Gegenteil, ich freute mich darüber, dass er seine diesbezüglichen Gedanken mit mir teilte. Dies sei ein Akt der Zwischenmenschlichkeit, den ich in unserer ach so modernen Welt stark vermisste. Man sei sich ja leider gewohnt, dass Menschen sich kaum noch etwas zu sagen hätten, das Nähe und Empathie schaffte. Meist übe man sich lediglich noch in der Kunst des sich gegenseitig Andienens von Langweile.

Arnold lächelte und antwortete: «Ja, dem möchte wohl so sein.» Er frage sich aber, wozu der Mensch dann die Kunst des Bierbrauens und Weinkelterns perfektioniert hat, wenn nicht, um Gemütlichkeit, Verbundenheit, Gemeinsamkeit und Vertraulichkeit vor einem offenen Kamin genussbereitend zu unterstützen. Der Geist des Gebräus in Harmonie mit der wohligen Wärme und dem Knistern und Knacken des Feuers seien dazu da, uns Menschen das innere Auge zu öffnen. Und so verschieden und vielfältig die Geschmäcker und Aromen dieser Getränke wirkten, so breit und sinnstiftend offen sei die Themenpalette an Gesprächen, die sich zu solchen Gelegenheiten zu entwickeln beginne.

Er müsse sich eingestehen, dass ihn die Frage nach der Herkunft und Entstehung von Bildern schon einige Zeit beschäftige. Klar, er sei Maler, und von einem ebensolchen Menschen erwarte man natürlich nichts Anderes, als dass er sich über den Gegenstand seiner Kunst so seine Gedanken mache und Antworten wüsste. Ich nahm sein Geständnis dankbar auf und führte ihm aus, zu bedenken, dass alles, was aus der Vorstellungskraft entstamme oder seine Herkunft dem schöpferischen Akt verdanke, mit dem Dasein zu tun habe. Im weitesten Sinne dabei mit der Kreation von Bildern verwandt sei. Insbesondere die Künste, die Dichtung, die Malerei, die Bildhauerei oder der Tanz legten davon anregende Zeugnisse ab. Es seien Künste, die sich darin glichen, dass sie dem Leser oder Betrachter Bilder suggerierten, welche ihn anregten und ihn darin mittels einer Art Selbstvergessenheit am Geist des Daseins teilhaftig werden liessen.

War es der süffige Rotwein oder das falbe Glühen des ausgebrannten Holzes im Kamin, einerlei, Arnold fühlte sich vom Vergleich angetan und erklärte mir, dass es irgendwo im Nirgendwo und gewissermassen allgegenwärtig eine starke Kraft gebe, die launisch, zufällig und verspielt wie ein Kind, Geist versprühe, an dessen Essenz jedes Menschsein teilzuhaben vermöge. Diese Analogie zum Gedanken von Max Plancks Kraft-Geist-Bewusstseins-Matrix gefiel mir. Es sei lediglich schade darum, dass wir Menschen nicht die Musse und die inneren Voraussetzungen mit uns brächten, gleichsam dauerhaft in dieser Geister-Matrix zu schwimmen. «Das ist durchaus gut so», meinte Arnold, denn darin liege die Absicht, uns Menschen in der Gabe des Hoffens, Wünschens und Sehnens zu trainieren.

Ein gelungener Gedanke, wie ich neidlos zugestehen musste. Die Natur des Schöpferischen ziehe somit ihre Kraft aus der Diskrepanz des Eins-Seins und der Vereinzelung und Verlorenheit im Dasein, versuchte ich seinen Einwand weiter auszumalen. Das seien durchaus nachvollziehbare Folgegedanken aus dem von ihm Vorgebrachten. Die Vorstellungskraft suche nach Mitteln und Wegen aus der Vereinzelung und Einsamkeit zu fliehen, ohne genau zu wissen, wonach sie eigentlich suche, da das Erstrebte lediglich in Metaphern irgendwie visualisiert werden könne.

«Da möchte ich mich gerne an die Bibel halten, welche mir die Gelegenheit bietet, den Gedankenbogen etwas auszuschmücken und gleichzeitig auch zu erweitern,» wandte ich mich Arnold zu. Augenscheinlich wisse die Vorstellungskraft um die Schwierigkeiten, des ins Eins-Sein zu gelangen. Und wann immer der Mensch sich vor schwer überwindbare Herausforderungen gestellt sehe, um sein Ziel zu erlangen, suche er nach bestimmbaren und in Worte zu fassende Voraussetzungen und Regeln, die ihn trainieren sollten, sein Ziel zu erreichen. «So erkläre ich mir die Entstehung von Regeln, Geboten und Ritualen», schloss ich.

Die Bibel sei schon ein besonderes Buch, bekräftigte Arnold. Alle Schriften und Schöpfungsmythen seien sich zumindest darin verwandt, dass sie ihre Botschaften in starken Bildern transportieren. Natürlich beständen da gewisse kulturelle und epochal bedingte Unterschiede. Wir hier in Mitteleuropa seien uns an Bibelgeschichten, Keltische Überlieferungen und nordische Sagen gewohnt. Ein Volk wie die Wikinger könnten gar nicht anders, als davon auszugehen, dass sie dem Geschlecht der Riesen abstammten. Zu wild, zu unbändig erlebten sie ihre Umwelt, die Naturgewalten und den Überlebenskampf, da bedurfte es wahrer Riesenkräfte, um zu bestehen.

Anders die Kelten, die selber nichts schriftlich überliefert hätten. Von ihrer Spiritualität wüssten wir lediglich Unzusammenhängendes aus der Archäologie und schriftlichen Überlieferungen anderer, der Mönche etwa. Auch hätte zu keiner Zeit ein stabiles keltisches Reich bestanden, wohl aber kenne man verstreut über ganz Europa hinweg viele keltischen Dörfer und Kultstätten. Was bei den Wikingern noch durch Gottheiten vertreten war, existierte bei den Kelten weit filigraner als mythische Verzückung, Zauberei, Verwandlungen, fantastischen Taten von Riesen und Reisen.

Ein von Göttinnen und Göttern bevölkerter Olymp entstehe in einer Kultur, wie der der Griechen, welche über Jahrhunderte ein eigenes Staatswesen führten und für die Omnipotenz ihres Götterhimmels, eines Olymp bedurften. Nicht so die Kelten. Ihre Mythen lebten verinnerlicht in ihnen. Und wo immer ihre Flucht vor den Römern und anderen feindlichen Stämmen sie hintrieb, ihre Spiritualität reiste mit ihnen, sie war stets ein Teil von ihnen. Kultstätten der Kelten entstanden immer nur da, wo ein Dorf aufgebaut worden war und wo die Menschen darauf vertrauten, zumindest für eine gewisse Zeit in Sicherheit zu leben. Zwar hätte es auch bei den Kelten Götter gegeben, Belos etwa, der Gott des Lichtes. Dies sei kein Widerspruch zur vorher besprochenen Verinnerlichung. Egal wohin man sich wende und wo man sich wieder niederlasse, die Sonne begegnete ihnen immer und überall. Dasselbe dürfe man getrost von Taranis, dem Donnerer, behaupten. Ähnliche Rückführungen seien für Sucullus, den Gott des Ackerbaus und des Waldes, als auch Cernunnos, einer Art Fruchbarkeitsgott.

«Ich könnte dir nun noch viele Parallelen unter den mythischen Geschichten auf zählen, die Zahl drei etwa, oder das Prinzip der Dualität in Gestalt von Zwillingen oder abstrakteren Gegensätzen,» winkte Arnold etwas ermüdet ab. Eine Erkenntnis aber ziehe sich für ihn durch. «All diese Gottheiten, Symbole und Methapern haben eine Herkunft, sie entstammen gewissermassen dem Genpool des einen grossen Geistes, vom dem auch Planck sprach.»

Arnolds Innenleben faszinierte mich jedes Mal von neuem und ich rechnete es ihm hoch an, dass er sich so freimütig bereiterklärte, diese seltsamen, fast schon spukhaften Bewusstseinsgüter mit mir zu teilen. Obwohl sich mein Alltagsleben fernab von solch filigranen Überlegungen bewegte, wagte ich es abschliessend dann doch noch, Arnold auf die Tatsache anzusprechen, dass das Auge des wissenschaftlichen Betrachters die Resultate eines Experiments verfälschte.  Wenn beispielsweise ein Mensch eine Wellenfunktion beobachte, bewirke er damit den Zusammenbruch dieser Wellenfunktion. Wie er, Arnold, damit umgehe? «Ein wunderbares Beispiel aus der Wissenschaft, da zeigt, dass wir Menschen ein Teil dieser Geisteskraft sind» antwortete er. Derselbe starke Geist, der die Welt umtreibe, wirke auch in und durch uns.

Veröffentlicht von Proteus on fire

Freischaffender Feuilletonist

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