
Auf dem Weg zur Erschaffung eines neuen Menschen begegnete ich kürzlich auf meinem Ritt durch die flugs dahinschmelzende Zeit dem deutschen Philosophen Friedrich Nietzsche. Zufall oder nicht, egal, denn er ist einer der ursprünglich von mir gesuchten Argonauten auf den Spuren des Transhumanismus, den besser zu verstehen ich mir jüngst auferlegt hatte. Transhumanismus, das Fazit meiner Zeitreise, das ist lediglich ein verzweifelter Aufstand von gottvergessenen Tagträumern und Dummköpfen gegen die Sterblichkeit. Aber alles der Reihe nach.
Wenn ich hier von einem Ritt durch die Zeit spreche, dann ist das, na ja, eher metaphorisch zu verstehen, denn ich bin kein Unzeitgemäßer, noch eine Hexe oder gar Merlin. In Zeiten des CO2-Schwindels würde auch ich mich für eine solche Reise passender vorbereiten und sie mit dem Starten des Elektromotors meines E-Mobiles aus dem Hause Musk antreten. Vorzugsweise wünschte ich mir für meinen Abstecher in die Vergangenheit aber einen DeLorean. Nun gut, ich bescheide mich, für meinen Zweck tat es für diesmal auch ein Pferd. Man sieht, meine Wünsche sind im Vergleich zu jenen der Transhumanisten sehr bescheiden und in ihrer Umsetzung bin ich geradezu rückständig, was aber nicht heißen will, dass es meine Ansichten auch sind.
Ich musste aus Versehen und unbemerkt wohl irgendeiner Bewusstseins-Transformation unterzogen worden sein, denn für Utopien, oder sollte ich zutreffender sagen, für Dystopien hatte ich früher kein Interesse. Das Verständnis um die Geheimnisse zur Entwicklung und Schaffung eines neuen Menschen war in mir gleichsam wunderlichster Weise erwacht. Zwar nicht aus einer wirklichen Not heraus, wohl aber mit einem ethisch spürbaren, fast schmerzhaft angesetzten Startkick in meinen Hintern. Man hatte in letzter Zeit viel von Impfungen gehört, die sich möglicherweise verändernd auf unsere DNA auswirken könnten. Wie auch immer es dabei um den wahren Sachverhalt stand, etwas gezieltere Information konnte da nicht schaden.
*
«Junge du hast Glück, dass du mich auf meinem eben aufgenommenen Weg durch die Länder auf der Suche nach wackeren Jüngern angetroffen hast, » beglückwünschte mich der namhafte Philosoph Friedrich Nietzsche mit breit einladender Armgestik, was dann wohl bedeutete, dass er bereit sei, meine Anfängerfragen entgegenzunehmen. «Könntest mein erster Jünger werden,» lud er mich ein. Ich musste lachen und antwortete ihm: «Wie immer! Du bist zur richtigen Zeit am rechten Ort – und danke nein, ich bin aus dem Alter raus, wo man sich glücklich schätzt, zum Jünger berufen zu werden.» Gleichwohl, ich hätte seine stets kritischen Einschätzungen der Zeiten und Entwicklungen schon immer geschätzt. Ich sei genaugenommen aber fraglos: «Ich möchte von dir lediglich die Versicherung, dass der Mensch auf seinem Weg zum höheren Menschen nicht nur ein Übergang ist, sondern auch ein Untergang. » 1)
Veränderung sei immer irgendwie ein, wenngleich fauler, aber nachvollziehbarer Kompromiss zwischen dem Woher und dem Wohin, wurde mir bedeutet. «Du bist ein Suchender und begehrst nach dem höheren Menschen; wohlan, dann lass den alten sterbend am Kreuz zurück,» meinte er gewichtig. «So tat ich es damals auch mit Darwins verrückter Theorie, dass der Mensch, dem Affen gleich, von den Bäumen gestiegen sei, um fortan aufrechten Ganges die schändlichsten Kriege und Gemetzel zu führen.» Wäre dem so, gestaltete sich die Weltgeschichte um einiges friedlicher, wenigstens um zwei Weltkriege ärmer. So mancher Phönix habe sich im Verlauf der kurzen Menschheitsgeschichte aus seiner Asche erhoben und sei in die höheren Sphären gestiegen. Darwin habe dabei sicherlich gefehlt, der sei im Lurch oder Fischstadium hängen geblieben.
Ich war froh, den bekannten Mann so wohlgelaunt vorzufinden. Darum wagte ich dann doch die Frage, woher sein Groll gegen den Evolutionstheoretiker rühre. Der Mann sei ihm eigentlich egal, aber es sei beleidigend, dem Menschen eine affige Vergangenheit anzudichten. Auch könne es nicht zutreffen, da sonst nicht zu erklären sei, warum so viele Tiere dieser Gattung bis zum heutigen Tag es vorgezogen haben, diesen Evolutionsschritt hin zum Menschen auszulassen. Vielleicht gefalle ihnen nicht, was sie an uns herausgefunden hatten. Wir lachten. Dann hob Nietzsche den Zeigefingern und begann: «Es waren die Denker vor mir, die vom transzendierenden Menschen schwärmten. Es waren eigentlich meine Vordenker, die den Menschen idealisierten und ihn ins Metaphysische, ins Übermensch-Dasein hoben. Mein höherer Mensch indessen genießt wahre Größe, er geht erst unter und steigt dann wie Phönix hoch und höher.»
Ich bin versucht mir vorzustellen, wie ein wohlhabender, eben verstorbener Mensch, seinem Traum nach ewigem Leben folgt, indem sein Leichnam der US-Firma Alcor, die sich der Kryokonservierung verschreiben hat, überführen lässt, um als Eiszapfen darauf zu warten, dass die zutiefst humanistisch geprägte Wissenschaft dereinst die Fanfaren Jerichos zum Tauwetter bläst. Einmal aufgetaut schreitet man zum Mind-Upload – klingt in der englischen Sprache wesentlich harmloser, als wenn man sich dies auf Deutsch vorzustellen hat. Ich erinnere mich dabei unwillkürlich an alte Frankenstein-Darstellung, wo ein Wesen aus vielen Leichenteilen zu einem Untoten zusammengebaut wird. «Gnade der Seele, die sich in diesem Flickwerk unglücklicherweise verfangen sollte,» schreie ich laut auf und erläuterte meinem Gegenüber, was ich mir da eben vorgestellt hatte.
«Na,na, warum dieses Pathos, wozu so viel Ängstlichkeit,» fragt mich Nietzsche. Es sei doch klar, dass die Wissenschaft dereinst dahin langen werde, Mind-Upload und dergleichen synthetische Fledderei, wie ich sie fürchtete, wahr werden zu lassen. «Schweig, alter Philosoph,» herrsche ich den Grobschnäuzigen erzürnt an. «Du hast keine Ahnung von Computern, DNA und KI und wagst es, so unbedacht vor dich hin zu fabulieren.» Er sieht mich erst ungläubig, dann kopfschüttelnd an, dreht sich mit einer abwertenden Geste zur Seite und verlässt zusammen mit seinem Löwen, der Schlange und dem Adler den unheiligen Ort. «Ich hätte nie vom Berg heruntersteigen sollen, die Menschen sind noch nicht reif für meine Botschaften,» höre ich ihn noch, wie er ärgerlich vor sich hin monologisierte. Die Menschheit fische im Trüben und in seichten Gewässern. Dann wird es ruhig.
*
Auf der Fortsetzung meines Höllenritts über die kriegsversehrten, abgebrannten Stoppelfelder der Menschlichkeit begegnete ich überraschend dann dem Biologen und Eugeniker Julian Huxley. Es miefte um mich herum grässlich nach nasser Asche, was mich nur zögerlich darauf besinnen ließ, meinen neuen Gesprächspartner kennen zu lernen. Meine Mission war mir dann aber doch so wichtig, dass ich mich widerwillig dazu entschied, dem alten Mann, Julian Huxley, gespielt erwartungsfroh in die Augen zu blicken. «Grässlich zu sehen, was die Epoche der Revolution in ihrem Ausgang dem europäischen Land angetan hat», klagte ich. Ich könne aber verstehen, dass dies für ihn als Briten längst nicht so schmerhaft sei. Da drüben auf der Insel sei es wohl noch immer so grün wie ehedem.
Huxley sah mich misstrauisch an. Ob ich ein Misanthrop sei, wollte er vorsichtshalber wissen? Wann ja, dann sei unser Gespräch nämlich bereits wieder beendet. Sind alle gleich, diese atheistischen Denker und Philosophen, dachte ich mir; höchst sensibel, Narzissten und schnell eingeschnappt. Sie nennen sich zu Anfang Humanisten, werden dann Eugeniker, weil ihnen der Mensch zu unfertig scheint, schaffen in der Folge Gott ab und steigen dann selbst in des Kaisers goldene Gewänder. Dies stand wohl so im Nachlass von Napoleon als Anweisung an künftige Führer – für sie sind wir doch nur Befehlsempfänger, Versklavte und nützlich als Steuerzahler.
Schnell begriff ich dann, dass seine Form von Transhumanismus einem Glauben gleichkam, so dass ich es mir abermals schwertat, mich still zu halten und geduldig weiter zuzuhören, denn mit dieser Art Glaube stand ich auf Kriegsfuß. «Die Menschheit unterliegt der dringlichen Verpflichtung, alle sich ihr bietenden Möglichkeiten zur Überwindung ihrer Natur zu ergreifen,» proklamierte er von seinem hohen Ross herunter, ungeachtet dessen, dass ich zum Zeichen des guten Willens zum Gespräch eigens von meinem Pferd abgestiegen war. Dies gelinge, so Huxley, nicht nur einzelnen, höheren Menschen, sondern, so sehe er dies in seiner Vision, der Menschheit als Ganzes. Aha, in Abgrenzung zum wesentlich differenzierter denkenden Nietzsche bestand Huxleys einzige Abweichung also darin, diese Transzendenz als Rasse zu schaffen. Vermutlich musste die als Restbestand und Satz seines Humanismus gedeutet werden. Und enden würde es wohl damit, dass Versager in der evidenten Phase des über sich Hinauswachsens ausgegliedert und entsorgt werden müssten. Was dieser Rassenwahn bringt, davon konnte man sich im Zweiten Weltkrieg hinlänglich überzeugen.
«Dieser verlogene und mit Schlupflöchern wild durchsetzte Glaube vermag mich weder zu begeistern noch zu überzeugen,» gab ich Julian Huxley unmissverständlich zu verstehen. Und während ich mich wieder aufs Pferd schwang, gab ich ihm leichthin lächelnd zum Abschied zu verstehen, dass es hier bereits jetzt schon viel zu stark nach verbrannter Erde und verkohlten Leichen rieche. Und mehr sei von seinem Glauben meiner bescheidenen Ansicht nach auch nicht zu erwarten. Ich bräuchte darum keiner weiteren Erklärungen mehr. Hier sei nicht die Rede von Transhumanismus, sondern lediglich von moralischer Dekadenz und Dummheit.
*
Auf meinem Weiterritt langte ich unerwartet an einem idyllisch anmutenden Weiher an, weshalb ich beschloss, Rast zu machen, mein Pferd zu tränken und selber eine wohlverdiente Stärkung zu mir zu nehmen. Wie ich so gedankenvoll auf dem Stein am Weiher vor mich hinsah, fragte ich mich, woher bloß der Unmut des Menschen rühre, sich und seinesgleichen als schwach und unfertig einzuschätzen. Transhumanismus sei nur deswegen modern geworden, weil man die eigene Schwachheit nicht ertrage, und dringend etwas brauche, das eigene Selbstbewusstsein zu stärken. Jeder Mensch sei doch in der Lage über sich hinauszuwachsen, wenn er es nur schon schaffe, seine eigenen Mäkel, seine Bequemlichkeit und seinen Narzissmus etwas zu glätten. Fröhlichkeit, Mitmenschlichkeit und Hilfsbereitschaft täten dann das Übrige.
Da begegneten mir am lauschigen Ort zwei lautstark und engagiert miteinander diskutierende, gut gekleidete Herren, die ich nicht kannte und auf meiner Reise bestimmt auch nicht gesucht noch gebraucht hätte. Sie schienen ihrerseits erfreut, mir zu begegnen. Sie seien Philanthropen, aber gegensätzlichen Couleurs, verrieten sie mir nach einer kurzen Vorstellungsrunde. Der von mir gewählte Ort der Erholung sei ideal, umso mehr, als es sich nicht lohne, auf dem Schlachtfeld zu sterben, wenn es doch hier stattfinden könne. Und sie würden sich freuen, wenn ich zwischen ihren unterschiedlichen Ansichten gewissermaßen als Fechtmeister und neutraler Richter vermitteln könnte. Mal was Anderes dachte ich mir, belustigt vom affektierten Auftritt der beiden Jungmänner. Ob sie denn nicht in der Lage seien, ihre Gegensätzlichkeit allein und ohne mich auszufechten? Ich sähe das vollkommen richtig. Sie vermöchten das nicht. Sie würden ohne äußere Einflussnahme selbstvergessen zu den Waffen greifen und einander Schaden zufügen. Sie bräuchten mich dringend als Schlichter.
Hugo, ein großer hagerer, wenig sympathischer Kerl, vertrat die Ansicht, Philanthropen seien in Gedanke und Tat besonders menschenzugewandte, freundliche Gönner, die es sich zur Aufgabe machen, unterstützungsbedürftige Menschen zu fördern. Nächstenliebe sei eben nicht nur eine christliche Aufgabe. Da Philanthropen in der Regel wohlhabende Menschen seien, würde ihnen diese Gönnerschaft durchaus wohl anstehen und sei Ausdruck einer weltumspannenden großen Menschenliebe. Wer Liebe schenke, der werde widergeliebt. Und dafür allein schon lohne es sich zu leben. Es sei zudem ein offenes Geheimnis, dass die wenigsten wohlhabenden Menschen lediglich durch ihre Arbeit zu Reichtum gelangten.
Das sei nur die eine Seite der Medaille, warf das Pickelgesicht Erich dazwischen, der Sohn eines Industriellen, und sich für den wissenschaftlichen Fortschritt, für Technik und Kommunikation stark machte. Sein Vater beispielsweise habe eben wieder eine Stiftung in der Stadt gegründet, deren Mittel künftig der wissenschaftlichen Erforschung von verbreitet auftretenden Krankheiten zugutekomme. Weitere Mittel würden in kulturelle Projekte gepumpt und geplant sei, eine Schule mit Mahlzeitendienst für Familien mit Kindern, deren Eltern beide ganztägig berufstätig seien, ins Leben zu rufen. Man verspreche sich davon, die Jugendkriminalität nachhaltig zu reduzieren und den sozialen Impakt maßgeblich zu verstärken.
Das sei alles recht lobenswert und zeuge von Großzügigkeit, Weitsicht und Menschlichkeit, Philanthropen hätten meiner Ansicht nach aber dennoch den Makel, in ihrem Denken und Handeln besonders materialistisch ausgerichtet zu sein. Denn selbst die Nächstenliebe im christlichen Sinn, sei doch bloß eine Alibitugend, um für den Himmel vorzusorgen, falls es dann doch so sein würde, dass jeder Mensch dereinst nach seinen guten und schlechten Taten beurteilt würde. Und zu Erich gewandt meinte ich: «Es ist nicht mehr als gerecht, jenen Menschen etwas zurückzugeben, denen man seinen Reichtum verdankt.» Vermutlich könne sein Vater ja das gespendete Geld von der Steuer abziehen und stehe zudem in großem Ansehen in der Stadt. Er sei Bürgermeister der Stadt, klärte mich Erich mit hörbarem Stolz in der Stimme auf. Und das Spital sei nach seinem Namen benannt, da er mit seinen finanziellen Mitteln den Neubau überhaupt erst ermöglicht hatte. Alles klar, verabschiedete ich mich von den beiden Kontrahenten, schwang mich eiligst aufs Pferd und freute mich ob der frischen Brise, die durch mein Haar wehte. Die beide Grünschnäbel hatten mir Kopfschmerzen bereitet und ich war froh, sie hinter mir zu lassen. Und dass sie sich ein Leid zufügten, davon war nicht auszugehen.
Hätte ich zum Voraus gewusst, was mich bei dem Zusammentreffen mit dem iranisch-amerikanischen Futuristen FM-2030 erwarten würde, hätte ich es vorgezogen, mich vorzugsweise ans Ufer eines Sees zu setzen, zu picknicken, vor mich hinzudösen und einen Tag als Sonnenbadender und Schwimmer zu verbringen, statt mich mit dessen queren Ideen zu befassen. Aber ich hatte ja eben geruht und mich gestärkt, also stellte ich mich dieser neuen Herausforderung.
„Hast du mein Buch gelesen,“ wollte FM-2030 gleich schon zu Beginn unseres Meetings in Erfahrung bringen. Ich musste verneinen. Das sei unverzeihlich und ich müsste ihm versprechen, dieses Versäumnis bald möglichst auszumerzen. Er vertrete darin die vielbeachtete Darwin‘sche These von der Evolution. Jeder evolutionistische Schritt sei in sich schon Transzendenz und Einlass in eine neue Wirklichkeit der Wahrnehmung. Das Besondere sehe er darin, dass sich der Mensch bei solchen Übergängen nicht notwendigerweise dessen bewusst sei, was ihm bei der Transzendenz widerfahren sei. Das Eingehen höherer Lebensformen liege in der Evolution an sich und bedürfe keiner künstlichen oder bewusst gezielten Beschleunigung.
Da er aber über seherische Fähigkeiten verfüge, habe er sich den bedeutungsschweren Namen FM-2030 zugelegt. Das Jahr 2030 stehe für ihn nämlich als Beginn für eine neue Ära menschlichen Daseins als Unsterbliche, frei von Alterung und Zerfall. Egal wie alt er noch werde, für ihn stehe jetzt schon fest, dass er sich nach seinem Ableben umgehend einfrieren lasse.
Mich fröstelte und ich konnte mir nicht verkneifen zu fragen, ob er sich als ganzer Körper oder als Geköpfter dereinst kryonisieren lasse. Doch FM-2030 hatte kein Gehör für meinen spöttischen Einwand. Der Mensch sei erst frei, so sein Credo, wenn er sich auch von seinem Namen gelöst habe, der ihn an die Vergangenheit binde und nur Stereotypisierung nach sich ziehe. In seiner künftigen Welt zähle die Vergangenheit nichts mehr.
Ich hakte nach und wollte von ihm in Erfahrung bringen, ob er denn schon Pläne für sein künftiges Dasein als Zeitloser, gelangweilt von der Bedeutungslosigkeit solchen Dahinvegetierens, in sich trage. Seine Antwort überraschte mich durch ihre Naivität in der Bedeutung. Die Anzahl derer, welche über die notwendigen finanziellen Ressourcen verfügten, die zur Kryonisierung aufgewendet werden müssten, sei bekanntlich beschränkt, weshalb vergleichsweise nur wenige Humanoiden Einlass in die gepriesene Zukunft fänden. Da eine auf Zell-Verschleiß beruhende Ernährung in Zukunft keine Rolle spiele, müsse sich keiner mehr um Nahrungsbeschaffung bemühen. Arbeit sei generell hinfällig und man verbringe sein Dasein in Gesellschaft der wenigen anderen in Freundschaft, Spiritualität und Vergnügungen.
Das sei alles unausgegorener Unfug, den er mir da auftische. Schlaraffia war gestern, das Leben wolle erarbeitet und vielfältig zelebriert werden. Ich hätte genug von seinen hirnlosen Phantasien, es sei für mich jetzt schon Strafe genug, wenn ich ihm dereinst in einer anderen Dimension durch einen unglücklichen Zufall herbeigeführt, wieder begegnen sollte. FM-2030 schüttelte verständnislos sein Haupt und verwarf die Arme, als ich wortlos in meine persönliche Zukunft galoppierend ihn weit hinter mir ließ.
*
Nachdem ich bereits zwei anstrengende Tage auf der Jagd nach möglichen Spielformen des Transhumanismus verbracht hatte, entschied ich mich, eine wohlverdiente Auszeit einzulegen. Ich suchte nach einer Herberge und freute mich auf ein köstliches Abendessen. Ich redete mir wirklich ein, dies redlich verdient zu haben. Ich hätte viel vergorenen, geistigen Unrat in mich aufnehmen müssen, so dass es jetzt an der Zeit sei, endlich meiner Verdauung etwas zuliebe zu tun. Doch weit gefehlt. Das Schicksal bestrafte mich, als ich in der Herberge angekommen auf Max More traf, der mir kundtat, dass er den Tisch mit mir zu teilen wünschte. Er hätte gehört, dass ich mich für transhumanistisches Gedankengut interessierte, und da sei er zweifelsohne der erste am Platz.
So sehr ich mich auch für Transhumanismus und andere lauffähige Zukunftsvisionen interessierte, gab ich bedauernd zu verstehen, sei es unumwunden mein Wunsch, gerne Mal allein zu speisen. Mein Tischgenosse zeigte Verständnis und zog sich an einen Ecktisch im Speisesaal zurück, beobachtete mich aber weiterhin und schaute mir beim Essen sehr genau zu, wie ich aus meinem Augenwinkel heraus feststellen musste. Ich hatte genug und zeigte keinerlei Verlangen danach, mich anders zu besinnen. Große Veränderungen in der Natur und die Möglichkeiten des Menschen, darauf angepasst und gewinnbringend zu reagieren, dies sollten Gedankenfelder sein, die ich meiden wollte. More war mir egal.
Die Folge war, dass ich meinem Magen vermischt mit meiner schlechten Verfassung zu so später Stunde wohl zu viel zugemutet hatte, schläfrig wurde und mich gemächlich auf mein Zimmer zurückzog. Ich fand auf Grund meiner steigenden Müdigkeit nicht einmal mehr die Zeit, mich Bett reif zu pflegen, als ich auch schon eingeschlafen war. Ich begann mich über mich zu ärgern, da ich gegen mein besseres Wissen immer noch zu Pferde durch die Nacht ritt. «Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht? Den Erlenkönig mit Kron‘ und Schweif,» fragte mich jemand mit kindlicher Stimme. Ich war versucht, meinen Galopp kurz zu unterbrechen, um festzustellen, wer da mit mir sprach. Doch dann redete ich mir ein, wohl zu träumen, was mich bewog, den Zwischenfall zu ignorieren. Als mir die Stimme ein zweites Mal dieselbe Frage stellte, war ich versucht zu antworten, «Sohn sei still, das ist nur der Nebel und das Geräusch vom Wind, der sich gedankenschwer durch das Laub der Birken blättert.» Als mich dann aber die Stimme ein drittes Mal belästigte, antwortete ich: «Lümmel, siehst du es den nicht, das sind lediglich die schlanken Schenkel einer graziös und steil in den nächtlichen Himmel aufragenden Bedürfnispyramide, an der wir in Bälde mit dem Kopf aufschlagen, wenn ich nicht sofort anhalte und vom Pferd steige.»
«Eine Bedürfnispyramide, Vater, erklär es mir, was soll das sein. Sind wir gar in ägyptischen Landen unterwegs?» «Ach was Ägypten,» erklärte ich abfällig, «bedenke ich es richtig, reiten wir in Amerika.» «Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort Erlkönigs Töchter am düsteren Ort?» «Jetzt halt den Mund, Sohn, hier steht bloß ein Kiosk im Schatten eines Baumes und ein alter Herr, der ihn bedient und versucht, uns Geld abzuknöpfen, um uns den Inhalt der Pyramide zu erklären,» erklärte ich gereizt. Ob zur Erklärung nicht ein einfacher Prospekt reichen würde, wandte ich mich an den alten Herrn, der sich uns als Abraham Maslow vorstellte. Sein Engagement sei zwar ehrenwert, ich wüsste aber schon hinreichend Bescheid über sein Modell.
Sein einfach gehaltenes Modell sei Psychologie für die Massen, warf ich ihm an den Kopf. Das sich darin spiegelnde Menschenbild sei nicht minder defizitär und negativ als jenes des Behaviorismus oder der Psychoanalyse. «Was verstehst du schon davon, satt gefressener Reitersmann,» antwortete mir Maslow verärgert. Ok, das hatte ich verdient, benahm ich mich doch alles andere als freundlich. Zuerst wolle der Mensch seine physiologischen Bedürfnisse gedeckt wissen, dann wolle er sich vor den Gefahren der in Willkür agierenden Natur beschützen, indem er sich Höhlen, Häuser und Schlösser baut, in denen dann die Menschen mit ihm wohnen, die er liebt und schützt. Bei diesem umtriebigen Zusammenleben in Haus, Dorf und Land könne man sich viel Respekt, Ansehen, Ruhm und Nachkommenschaft anhäufen. Seien dann erstmal alle Bedürfnisse gedeckt, dann erwache des Menschen Drang nach Höherem, Kreativerem und Transzendentem. «Ihr, Herr Maslow, seid um keinen Deut besser als all die andern Negativsten der Humanwissenschaften. Für sie sind wir bedürfnisgetriebene Wesen, mit denen sich in der Verlängerung gut geschäften lasse. Kein Wunder sind sie Kioskbesitzer und Verkäufer von Süßigkeiten, Tabak und alkoholischen Getränken. Und lassen sie sich eines gesagt sein, der Mensch ist in jeder Phase seines Daseins immer schon kreativ und spirituell geleitet.» Spiritualität sei nicht die Folge einer Entwicklung, sie sei der Motor dafür.
In meinem Traumgesicht hörte ich noch ein fernes Donnern, das sich schnell zu nähern schien, weshalb ich mich beeilte, möglichst zeitnah weiterzureiten, als ich mich beim Aufschwingen aufs Pferd übertat, aufwachte und mich am Zimmerboden liegend wiederfand. An der Zimmertür wurde geklopft: «Zeit für die Zimmerreinigung mein Herr,» meldete sich eine Stimme von draussen. «Das Frühstück haben sie verpasst und da sie nur eine Nacht bei uns gebucht haben, möchten wir sie bitten, zu packen und weiterzureisen.» «Ist ja gut,» maulte ich mürrisch zurück, «ich werde mich beeilen.» Meine Laune verbesserte sich rasend schnell, nachdem ich das Ausmaß des Traumes zu realisieren begann, der mir die Nacht so schwer werden ließ. Und während des Packens wiederholte ich in Gedanken immer wieder Goethes Reim aus dem Erlkönig: «Dem Vater grauset’s, er reitet geschwind…» Tolle Motivation, klopfte ich mir symbolisch auf die Schulter.
Ich beschloss, in die nächste Ortschaft zu reiten, mir da einen bequemen Platz zu suchen und die Zeit dafür aufzuwenden, die vielen Gedanken, die mich bewegten, zu Papier zu bringen. Die menschlichen Begehrlichkeiten seien grenzenlos, wollte mich dünken – was aber kein Wunder sei, böten Wissenschaften und Technologien doch hinreichend Stoff, sich ein neues Paradies zusammenzureimen. Aus mir verschlossenen Gründen sehne sich der aus dem Garten Eden vertriebene Mensch immer noch dahin zurück, schrecke auf seinem Weg weder vor grausamen Kriegen, Genoziden noch Brudermord zurück und baue immer höhere Türme und Häuser, um die Wolken anzukratzen und sie zu Freudentränen zu reizen. Doch Einlass, dessen war ich mir sicher, würden sie seinem Drängen nicht gewähren. Was sich hingegen mit Sicherheit öffnen würde, sei der grause Schlund der Bedürfnishölle beim nachfolgenden Sturz von der hohen Leiter.
Ein aus Nanotech und Biotechnik gezimmerter, digital vernetzter, DNS-optimierter und prothesentragender Androide, genährt auf seiner Speicherplatte mit den Erinnerungen an sein armseliges Vorleben und gestärkt mit dem Wissen der gesamten Menschheit – das konnte nicht funktionieren. Diesem Monster fehlte es bei seinem wunsch- und zeitlosen Unglücklich-Sein an Religiosität, Spiritualität und Seele. Seine Hauptaktivität bestände lediglich aus Schlafen und mantramässigem vor sich hin Grummeln.
Das Ding würde zweifellos irre und über kurz oder lang seinen eigenen Untergang herbeiführen. Und das ganz ohne Anstrengung, emotionsarm und ledig jeglicher Empathie. Mit einer letzten scheuen Frage und einem zufriedenen Seufzer, «war ich nicht ich», würde es mit Blaulicht im Auge und erstarrter Gesichtsmaske runterfahren und weiterschlafen.