Die Grosse Mutter (Magna Mater) Hecate

Erfahrung des ersten, zum bewussten Leben erwachten Menschen: Mit einem flammenden Blitz zerfiel das gesamte nebulöse archetypische Gedränge in den Angstzentren seines bisher ausschließlich von Unsicherheit, Nacht, Angst und Hilflosigkeit geprägten Daseins und machte den gleißenden Konturen einer bewegt-bewegenden Welt Platz.

Man soll bitte nicht dem Irrtum verfallen, ich wolle hier eine Neuauflage asiatisch-griechischer Mythologie starten. Die Geschichte um die Argonauten, angeführt von Jason, welche uns in verschiedensten antiken Quellen überliefert wurde, sind hinlänglich bekannt und sie bedürfen auch keiner Ergänzungen. Sie sind perfekt. In diesen Geschichten steckt so viel überbordende Kraft, dass es uns gelänge, die Wahrnehmung unseres Daseins neu zu definieren, wenn wir uns unvoreingenommenen Blickes und von Phantasie und Inspiration beflügelt, auf die Begebnisse dieser bekannten und doch so fremden Welt einlassen würden.

Ich stelle mir vor, wie das vor fernen Zeiten gewesen sein muss, als der erste, zu Vernunft und Wahrnehmung erwachte Mensch bewusst den Sonnenaufgang an den Horizonten des archetypischen Urgrundes wahrnahm. Er verfügte nicht über die Begriffe, die ihn befähigt hätten, in Worte zu fassen, welches Schauspiel sich da anschickte, vor seinen Augen wahr zu werden. Wir können uns nicht einmal annähernd ausmalen, was genau er, der erste Seher und Visionär der Menschheit wahrgenommen hat und was mit seinem noch wenig im Sinnenhaften verankerten Bewusstsein in der Folge geschehen sein muss. Poseidon, der alte Aquaten Gott, und Hesperus, als Bote der Morgenröte, mussten sich zu diesem aussergewöhnlichen Moment, wohl auf Geheiss Hecates, mächtig ins Zeug gelegt haben, um uns Menschen diesen Augenblick unvergesslich ins noch ungeübte Gedächtnis einzubrennen. Dieser bewusst erlebte Sonnenaufgang sollte zum Symbol von Geburt, Erwachen, Zukunftsversprechen und Bündnis zwischen Himmel und Erde herhalten.

So wie man bei der Entstehung des Universums vom Urknall redet, so stelle ich mir das Geschehen vor, das sich im Kopf dieses Menschen, nennen wir ihn in Anlehnung an die biblische Tradition, Adam, dem ersten Argonauten des Bewusstseins, abgespielt haben könnte. Geblendet von den goldenen Strahlen der aus dem Meer im Osten aufsteigenden Sonne, zerfiel mit einem flammenden Blitz das gesamte nebulöse archetypische Gedränge in den Angstzentren seines bisher ausschließlich von Unsicherheit, Nacht, Angst und Hilflosigkeit geprägten Daseins und machte den gleißenden Konturen einer bewegt-bewegenden Welt Platz. Wo früher gleichsam ein Urmeer in uns sein einschläferndes Gezeitenspiel zelebrierte, eröffneten sich Adam nun plötzlich Konturen, wahrnehmbare Differenzierungen des Lichts und ortbare Geräuschkulissen.

Aus dem alten Chaos blitzen explosionsartig erste strukturierte Ordnungsversuche auf. Er mochte wohl wenigstens an dem sich rasend schnell, gleich dem Urknall, ins Grenzenlose und Fremde ausbreitenden Bewusstsein gemerkt haben, dass er einen Plan brauchte, diesen mystischen Geburtsschock, den ihm Hekate bescherte, heil zu überleben. Er benötigte dringend einen Leitfaden, ein Schiff, die Argo, und eine Handvoll tapferer Weggefährten, die ihm helfen sollten, die Geheimnisse der Unendlichkeit der sieben Weltmeere des Seins zu erforschen, um dereinst darin vielleicht heimisch zu werden.

Eine dieser Entdecker-Erzählungen des Altertums ist, wie eingangs schon angesprochen, dem Griechen Jason gewidmet, der auf Geheiß seines Vaters in Iolkos die Anker lichtete und frohgemut ausfuhr, das Goldene Vlies im viel gepriesenen Kolchis, jenseits des Schwarzen Meeres, zu ergattern. Kolchis war ausserdem auch legendär für die reiche Goldgewinnung und die erstaunliche Goldschmiedekunst seiner Bewohner.

Jasons tapfere Begleiter waren die späteren Helden Trojas, Orpheus (der Sänger), Herakles (Sohn des Zeus), Telamon (Vater des Ajax), Peleus (Vater des Achilleus), Laertes (Vater des Odysseus) und Theseus, der Besieger des Minotaurus. Viel gäbe es zu erzählen über all die Helden, doch beschränken wir uns hier auf den Umstand, dass all die berühmten Namen dazu ausreichen sollten, der Expedition, den Glanz zu verleihen, der ihr zusteht. Und nehmen wir bitte diese Erzählung stellvertretend für all die anderen beschwerlichen Reisen unserer künftigen Argonauten des Bewussteins durch die sieben Weltmeere der Erkenntnis und des Wissens.

Lernen wir dabei gleich auch eine der beiden Töchter Hekates, Medea kennen, welche zu späteren Zeiten wegen ihren Gaben und ihrem Namen zur Schutzpatronin der Medizin erhoben wurde. Um es abzukürzen, Jason und seinen Gefährten gelang der Raub des Goldenen Vlies nur dank der Hilfe Medeias, der Tochter des Ajetes, einem Nachfahren des Sonnenkönigs Helios. Medeia hatte an Jason Gefallen gefunden und stand ihm deswegen hilfreich zur Seite.

Um etwas Struktur in diesen archtypischen Wust an Helden und Götter und Begebenheiten zu bringen, versuchen wir zu ergründen, welche besondere Symbolik im Goldenen Vlies wohnt und was an ihm so besonderes ist, dass man sich freiwillig eine heilige Mission aus der Jagd nach ihm macht.

Auf der Jagd nach dem goldenen Vlies

Die Geschichte geht in Etwa wie folgt: Poseiden, ein alter Schwerenöter, nicht unähnlich dem Zeus, entführte einst Theophane auf eine Insel, wo er sie in ein Schaf verwandelte und sie, selbst die Gestalt eines Widders annehmend, bestieg. Aus dieser unrühmlichen Verbindung ging der Widder Chrysomeles hervor, den ein goldiges Fell auszeichnete. Chrysomeles war, wen wundert’s bei dieser Abstammung, sprachbegabt und verstand sich aufs Fliegen.

An diesem Punkt werden die Grenzen zwischen Mythos, Erfindung und Geschichte fliessend und durchlässig. Das muss so sein, denn sonst würden wir uns der besonderen Symbolik dieses mythischen Ereignisses für uns Menschen kaum bewusst. Die Frage lautet nicht, ob die vorliegende Geschichte wahr ist, sondern, wofür steht sie? Der Widder ist ein besonderes Tier, da ihm in der Astrologie eigens ein Sternzeichen gewidmet wurde. Und nicht irgend ein Tierkreiszeichen, nein es ist das erste von zwölfen und steht für den Frühling.

Das zyklische Erwachensritual von Mutter Erde steht für Neubeginn und Widergeburt. Irgendwo in der langen Reihe von Widergeburten ist das Erwachen des menschlichen Bewussstseins, als ein Geschenk und gleichzeitig auch als höchste Herausforderung der menschlichen Gattung anzusiedeln. Der Mensch trat damals aus der vegetativen Nacht erstmalig ins Licht des Daseins. Er wurde Lichtgestalt und fand sich fortan in der komfortablen Lage, zwischen den Dingen dieser Erde zu unterscheiden. Es war die Geburtsstunde des Ich-Bewussteins, nach der Menschwerdung dem wohl wichtigsten Entwicklungsschritt in unserer kosmologisch gesehenen vergleichsweise kurzen Daseinsgeschichte, Man versteht jetzt, warum Jason aus dieser Warte betrachtet, schlicht ausziehen musste, um sich das Goldene Vlies zu erobern. Ich erspare uns die detaillierte Geschichte dessen, wie es ihm schliesslich unter Mithilfe von Medeias Zauber gelang, das Vlies, trotz strenger Bewachung durch einen Drachen, an sich zu reissen. Ein wichtiger Umstand dieser sagenhaften Geschehnisse ruht in Bedeuteung des Poseidon, dem Vater des Widders, welcher als Meeresgott gleichzeitig auch die Zeit inne hat. Der neue Mensch verstand nicht nur zwischen sich und anderen zu unterscheiden, er sah nun plötzlich auch das woher und wohin seines bedeutungsschweren Hierseins , das Früher und Später in folgenschwerer Manigfaltigkeit. Damit hat der Mensch seine erste und wichtigste Metamorphose hinter sich gebracht.

Veröffentlicht von Proteus on fire

Freischaffender Feuilletonist

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