Wenn in der Bibliothek die Lichter löschen

…dann brennen bald wieder Bücher …dann hat die Stadt vergessen, die Stromrechnung zu begleichen …dann ist Torschluss und die Angestellten wollen endlich nach Hause …dann steht der Untergang des Abendlandes nun tatsächlich kurz bevor …dann wird bald keiner mehr handfeste Beweise dafür finden, dass es uns jemals gab …dann geht für viele ein arbeitsreicher Tag zu Ende …dann öffnet nebenan die Bar

Ich weiss, das sieht jetzt nach einem jener Schreibspiele aus, wo jeder aus einem angefangenen Satz eine Geschichte schreiben darf. So ist das aber nicht, denn eigentlich wollte ich einen Blog über Bücher schreiben. Jetzt bin ich aber grad etwas verunsichert, da ich nicht weiss, wohin das führen und wozu das gut sein soll. Aber eben, beim Schreiben entsteht eines aus dem anderen und es ist manchmal gar nicht so offensichtlich, wie das eine mit dem anderen korrespondiert.

Bücher sind doch out und nur noch etwas für ältere Menschen, die nicht mit einem Tablet oder E-Reader umzugehen wissen und über viel Zeit zum Lesen verfügen. Heute kauft doch keiner mehr diese sperrigen Dinger? Kosten viel Geld, sind schwer mit sich herum zu tragen, nehmen in der Wohnung zu viel Wandplatz weg und neigen dazu, ungelesen zu verstauben. Bücher sind zudem richtige Wundertüten, denn nicht immer ist in einem Buch drin, was Titel, Vorspann und Werbetext versprechen. Also lasst sie uns besser wieder verbrennen!

Doch stopp, sind das wirklich die schlagenden Argumente gegen den Kauf eines spannenden Buches? Sperrig, kostspielig, schwer transportierbar, platzraubend, Staubfänger – reden wir da noch von Büchern? Das meiste trifft doch mindestens auch auf eine bequeme Polstergruppe zu. Sperrig ist Vieles, was wir uns kostspielig erwerben und dann nach Hause transportieren lassen, weil es für uns selber zu schwer ist. Und was steht nicht alles in unseren Wohnungen und Häusern herum, das nur Platz wegnimmt, meist unbeachtet bleibt und ebenfalls viel Staub ansammelt. Wozu weiter darüber sinnieren, lasst uns nebenan in die Bar gehen.

Eine Bekannte von mir arbeitet temporär als Bibliothekarin und steckt hauptamtlich mitten im Soziologiestudium. Netter Versuch. Etwas plump, denn jeder ahnt es zum Voraus, dass dieser Abschnitt sehr kurz ausfällt und damit endet, dass die Angestellten nach dem Lichterlöschen in der Bibliothek froh sind, endlich nach Hause zu dürfen, dass für sie damit ein anstrengender Arbeitstag zu Ende geht. Und natürlich stehen auch dann nicht Bücher im Fokus, wenn bekannt wird, dass der Bibliothek der Strom abgedreht wurde, weil es die Stadt versäumt hatte, rechtzeitig die Stromrechnung zu begleichen.

Aber immerhin böte letzteres Ereignis Stoff genug für einen gepfefferten Wutartikel in der Zeitung, wo man sich genüsslich über die Ungebildetheit und Eselei der aktuellen Stadtregierung auslassen könnte, selbst dann, wenn es sich dabei tatsächlich nur um eine versehentliche Unterlassung gehandelt hätte. Blutleckend würde sich unser Stadtblatt dem neuen, pandemiefreien Thema widmen. In fetten Zeilen stände da vielleicht zu lesen: Steht uns endgültig der Untergang des Abendlandes bevor?

Worüber ich mir aber jetzt echt Sorgen mache, ist die zentrale Frage, warum wir keine Beweise mehr dafür haben sollten, dass es uns auf dieser Erde einmal gegeben hat, wenn es keine Bücher mehr gäbe. Ist doch irgendwie ein lächerlicher Gedanke. Es existiert heutzutage praktisch alles in digitaler Form, was jemals an Wissenswertem gedacht, erforscht und wissenschaftlich bewiesen worden ist. Wie könnte das jemals verloren gehen? Wegen einer traurigen Covid-Pandemie, die alte und schwächliche Menschen tötet, zu viele arbeitslos macht und andere in die unverschuldete Armut treibt. Wohl nicht, aber was, wenn uns allen der Strom ausgeht, die Lichter ausgeblasen werden: animam eflat?

Wenn in der Bibliothek die Lichter löschen, dann steht das metaphorisch dafür, dass wir tausendfach im Stande sind, uns selber auszulöschen. Eine nukleare Katastrophe würde dazu bestens taugen. Ein vor sich her galoppierender Klimawandel mit verheerenden Stürmen, wüstengleicher Trockenheit und gefährlich verschmutzter Luft bietet ebenfalls gute Aussichten auf Erfolg. Aber auch eine echte Seuche trägt vielleicht das Potenzial zur Ausrottung der Menschheit in sich. Und was, wenn wir so sehr mit der Herstellung und Verwendung von synthetischen Treibstoffen beschäftigt sind, die für ein gutes und ausgiebiges Wachstum von Nahrungsmitteln sorgen sollen und wir dabei gar nicht merken, dass uns diese fremde DNA nicht bekommt und uns umbringt? Amen.

Es gäbe da noch die nicht minder gefährlichen Möglichkeiten durch eine evolutionäre Veränderung unseres Bewusstseins, einen katastrophalen Brainwash zum Beispiel: wir vergessen unsere Mitmenschlichkeit, Hilfsbereitschaft, Nächstenliebe, Freundlichkeit und den gegenseitigen Respekt. Wir verwildern und verrohen und verlieren all die kostbaren Qualitäten, welche uns der Humanismus freundlich und nachhaltig in Schrift Wort und Tat als Erziehungs- und Bildungsgut über Jahrhunderte mit auf den Weg gegeben hat. Aber ja, auch ein Wort wie «nachhaltig» kann unter gegebenen Umständen zur Floskel degradieren.

Veröffentlicht von Proteus on fire

Freischaffender Feuilletonist

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