Lebensfeindlich und krankheitsfreundlich

Manchmal lohnt es sich hinzuschauen. Dies ist oft weniger eine Frage der Aufmerksamkeit als vielmehr der Anfang von Empathie und Respekt.

Ich bin im Unterschied zu früheren Jahren heute nicht mehr der Ansicht, dass es so etwas wie die eine Wahrheit, abseits der Philosophie, gibt. Die Erfahrungswelt lehrt uns, dass da viele kleine Wahrheiten sind, aber nicht mehr. Und es bedarf auch nicht immer eines leitenden Willens zur Macht, wenn man etwas tut. Manchmal reicht es, dass man einen tropfenden Wasserhahn reparieren will, um sich nicht länger ärgern zu müssen; dass man kocht, weil man Hunger hat und sich dabei noch zusätzlich viel Mühe gibt, weil man Gäste hat, die man gerne mit etwas besonders Leckerem bewirten möchte.

Diese simple Aufzählung von Ansichten gilt sowohl für die gesprochene als auch für die geschriebene Sprache. Jemanden zu fragen, warum sprichst du, warum schreibst du ist eine schlechte Angewohnheit. Es ist dasselbe, als ob man uns fragte, warum lebst du? Darauf kann man nicht wirklich antworten. Keiner von uns ist jemals gefragt worden, ob er geboren werden möchte. Wir Menschen verfügen über diese distinguierten Mittel lebendigen Ausdrucks und darum nutzen wir sie – weil wir leben.

Bei vielem von dem, was wir als Lebewesen auf Zeit tun, weil wir es können, sind wir von der Lust geführt: wir pflanzen uns fort, wir essen, weil uns die verführerischen Geschmäcker entgegen duften und Speichel und Magensäfte aktivieren; wir verwenden unsere Gliedmaßen, wir gehen, wandern, reisen, weil es uns glücklich macht; wir sitzen zusammen, feiern, trinken, singen und debattieren, weil es schön ist, mit anderen zusammen zu sein. Diese wenigen Beispiele mögen reichen, um klar zu machen, dass es nirgends hinführt, jemanden zu fragen, warum er das tut. Es reicht zu wissen, dass man es kann.

Natürlich gibt es spezielle Kontexte und situative Parameter, wo das eben Beschriebene nicht erschöpfend fasst, was ist. Wenn sich beispielsweise jemand hinstellt und eine Rede hält, weil er andere von seiner Lösungseinsicht in eine Problematik überzeugen möchte. Dies gilt vornehmlich für unsrer öffentliches Auftreten, für die Politik und die Wirtschaft, wo man gegebenenfalls als Spreader funktioniert (man spricht zu Zeiten von Corona viel von Superspreadern, die das Virus in hohem Masse verbreiten, darum diese undeutsche Begriffswahl).

Rein aus Vergnügen und purer Rhetorik darum hier die Frage in den Raum gestellt, ob man als Blogger oder als Journalist mehr zu sagen hat als andere? Wohl kaum. Es gibt immer mal wieder unerwartete oder besondere Ereignisse, die uns alle in irgendeiner Weise betreffen. Hier, zwar mandatslos, aber stellvertretend hinzustehen und die aufgefundenen Fakten darzulegen, damit sich jeder sein eigenes Bild daraus schafft, kann schon genügen, um sich gegenseitig spüren zu lassen, dass man nicht allein dasteht. Ohnehin ist es heute so, dass die großen Probleme nicht im Alleingang gelöst werden können. Wenn wir sie lösen möchten, dann müssen wir gemeinsam ans Werk gehen.

Bin ich ein Influenzer? Nein, es bezahlt mich keiner dafür, was ich hier mache. Influenzer kann man nur sein, wenn man viele Leser auf seinem Blog vereint weil man mit einer Botschaft aufwartet, die viele Menschen anspricht. Es gibt aber oft im Leben Gelegenheiten, wo man sich einfach hinstellt und eine Flagge (seine Farben) in den Wind hält, um zu schauen, ob es da draußen noch andere gibt, die ähnlich denken. Gemeinschaftliches Denken und Handeln ist nachhaltiger, da es sich langsam entwickelt, dafür aber ausdauernder und unverbrüchlicher ist, da es von vielen getragen wird.

Bedrohungen durch die sich anbahnende Klimakatastrophe; der weltweit zur Superlative überbordende Verschleiß an Ressourcen zur sinnlosen weiteren Produktionssteigerung von Wirtschafts- und Handelsgütern; all die Kriegsverbrechen, die weltweit im Namen von Scheingerechtigkeit und Habgier begangen werden; und noch vieles mehr, das hier angeblich im Namen von Wohlstand, Gesundheit und Gerechtigkeit für uns gemacht wird, dies alles schreit nach Hinsehen. Das können weder ich noch du im Alleingang lösen. Das ist ein Job für uns alle, auch wenn es dabei keine gefüllten Lohntüten zu verdienen gilt.

Eine Welt voller Krisenherde, wo viel Dreck verstreut herumliegt und die Böden vergiftet, aus denen wiederum unsere Früchte, die wir ernten und verspeisen, ihre Nährstoffe beziehen, wird durch diese Form der Verinnerlichung für uns alle lebensfeindlich und krankheitsfreundlich.

Ich und Welt, das ist ein sprachliches Konstrukt. Wir sind die Welt und die Welt ist ich und du; und darum fühlt es sich schlecht an, wenn die Natur, die Welt und unsere Heimat darben. Dann kranken auch wir. Diese Krankheit bleibt lange verborgen, da sie oft erst im Spätstadium mit Fieber und Schmerzen einhergeht. Man täte gut daran, die Lebenswidrigkeiten der anderen stärker zu beachten. Es wäre ein erster Schritt zurück zu Empathie, Respekt, Nächstenliebe und Altruismus. Dafür würde ich in Kauf nehmen, als Influenzer (zur Erinnerung: Superspreader) zu wirken. Dies wäre ein Einsatz für die wirklich wertvollen Gaben des Menschseins.

Veröffentlicht von Proteus on fire

Freischaffender Feuilletonist

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